Wann wird Angst zur Krankheit?

Angst

Ängste

Angst ist zunächst einmal eine ganz normale Reaktion des menschlichen Körpers auf eine aktuelle oder befürchtete Bedrohung. Die Angstreaktion hat dabei eine ganz wichtige Funktion: Sie soll den Körper und die Psyche darauf vorbereiten, dass eine Gefahr droht, die einen selbst oder jemand anderen schädigen könnte.

Der Körper und die Wahrnehmung eines Menschen reagieren auf das Signal “Angst” innerhalb von Sekunden mit einer Vielzahl an Reaktionen, die alle nur einem Ziel dienen: Das Überleben in der bedrohlichen Situation zu sichern.

Vegetatives Nervensystem

Dabei finden im Körper wichtige, durch Hormone gesteuerte Veränderungen statt. Die Angstreaktion führt zu einer Aktivierung des so genannten vegetativen Nervensystems. Ein Teil des vegetativen Nervensystems, der so genannte Sympathikus, ist dabei für die Angst- und Stressreaktion verantwortlich.

Bereits kurz nach der ersten Wahrnehmung der Bedrohung führt die Aktivierung des Sympathikus dazu, dass im Körper “Stresshormone” wie z.B. Noradrenalin ausgeschüttet werden, die den Körper in eine hohe Leistungsbereitschaft versetzen sollen - um besser gegen die Gefahr ankämpfen oder vor ihr fliehen zu können.

Diese Hormone wirken dabei im Körper auf eine Vielzahl an Organen. Sie führen unter anderem durch die Steigerung der Herzfrequenz und die Erhöhung des Blutdrucks zu einer besseren Durchblutung der für die “Kampfreaktion” wichtigen Organe. Durch die Erhöhung der Atemfrequenz und durch die Erweiterung der Bronchien führen sie zu einer Verbesserung der Sauerstoffversorgung. Zusätzlich führen sie zu einer Erhöhung der Muskelanspannung, zu einem vermehrten Schwitzen und zu vielen weiteren Veränderungen mehr. Alle diese Veränderungen sollen dem Körper helfen, besser “kämpfen” oder schneller “fliehen” zu können.

Dieses Jahrtausende alte Hormonsystem hat also seit langer Zeit eine ganz wichtige Funktion für uns, um Bedrohungen besser bewältigen zu können.

Unnatürliche Angstreaktionen

Das oben beschriebene Hormonsystem hat noch eine weitere, eigentlich sehr gute Eigenschaft: Die Stresshormone werden durch die erhöhte körperliche Aktivität “beim Kämpfen oder Fliehen” wieder aufgebraucht. Spätestens wenn der Körper erschöpft ist, kommen auch die Hormone wieder in den “Ruhezustand”. Soweit die Theorie der natürlichen Angstreaktion.

Das Ganze hat nur einen großen Haken: In unserer heutigen Gesellschaft gibt es eine Vielzahl an Signalen, die unserem Körper eine Bedrohung signalisieren - ohne dass man dagegen ankämpfen oder fliehen kann.

Wenn Sie zum Beispiel in einer vollbesetzten U-Bahn fahren, die Luft stickig ist und es ihnen viel zu eng wird, möchte der Körper ihnen mit der Angstreaktion also zunächst einmal helfen: Er fängt an, die Stresshormone auszuschütten und versucht sie so in eine Lage zu versetzen, dass sie gegen diese Bedrohung angehen können.

Klaustrophobie: U-Bahn

Da sie aus naheliegenden Gründen weder gegen Ihre anderen Mitfahrer ankämpfen können, die U-Bahn selbst auch kein Ventil für die in Ihnen aufkommende Energie bietet, und eine Flucht auch nicht möglich ist, weil Sie vielleicht gerade auf dem Weg zur Arbeit sind, dann hat ihr Körper plötzlich ein großes Problem: Er steckt voller Energie, das Herz rast, die Atmung wird immer schneller - und nirgends ist ein Weg, um diese Energie wieder los zu werden und die Stresshormone abzubauen. Dies führt nachvollziehbar dazu, dass der Betroffene in ein massives Gefühl des Unbehagens gerät.

Aus dieser sehr unangenehmen Situation kann sich leider schnell ein Teufelskreis entwickeln: Der Betroffene in unserem Beispiel hat erfahren, dass in der U-Bahn eine große Bedrohung auf ihn warten kann, aus der er sich nicht befreien kann. Sein Körper und seine Psyche möchten ihm jetzt wieder helfen: Wenn er sich das nächste Mal einer U-Bahn-Station nähert, signalisieren sie ihm schon vorher: “Vorsicht! Dahinten lauert eine Gefahr!!!” - Und die ganze Kette der Angstreaktion setzt bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein.

Dies kann sich immer mehr ausweiten, bis irgendwann vielleicht schon alleine der Gedanke an die U-Bahn, der Gedanke an öffentliche Verkehrsmittel überhaupt, der Gedanke, die eigene Wohnung zu verlassen oder der Gedanke, in der Öffentlichkeit die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, zu einer Angst- und Panikreaktion führen können. Bei vielen Angstpatienten reicht im Verlauf der Krankheit sogar schon ein unbewusstes Signal aus, um die Angstspirale zu starten. In unserem Beispiel würde man dann von einer so genannten Agoraphobie (“Platzangst”) mit Panikstörung sprechen.

Angsterkrankung

In dem oben beschriebenen Beispiel würde man nicht mehr von einer natürlichen Angstreaktion sprechen, sondern von einer Angsterkrankung, einer so genannten Angststörung. Als Angststörungen bezeichnet man dabei insgesamt Krankheiten, die mit Ängsten einhergehen, für die es keine ausreichende Erklärung durch eine wirkliche Bedrohung gibt.

Das oben beschriebene Beispiel ist dabei nur ein möglicher Weg, der zur Entstehung einer Angststörung führen kann. So verschieden wie die Menschen sind, so unterschiedlich können auch die Wege sein, die zur Entstehung einer Angststörung führen. Bei den meisten Angstpatienten ist dabei nicht nur eine Ursache der alleinige Auslöser für die Angsterkrankung, oft kommen verschieden Faktoren zusammen, die dann letztendlich in ihrem Zusammenwirken die Angststörung hervorrufen und aufrecht erhalten.


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