Angst vor der Angst

Was ist “Angst vor der Angst”?

Sehr viele Menschen mit Angsterkrankungen kennen ein Phänomen, das als “Angst vor der Angst” bezeichnet wird.

Unter “Angst vor der Angst” versteht man dabei, dass die Betroffenen auch zwischen den einzelnen Angstattacken - also bereits bevor eine angstauslösende Situation erneut aufgesucht wird oder entstehen kann - unter der sehr ausgeprägten Sorge leiden, dass ihre Ängste in einer bestimmten Situation oder auch “aus heiterem Himmel” erneut auftreten könnten.

Diese Angst vor dem Erneuten auftreten der Angstsymptome kann dabei ausgprägter sein, als es die ursprünglichen Ängste waren, die in diese Angststpirale geführt haben.

Die Angst vor der Angst entwickelt sich zum Beispiel sehr häufig im Rahmen der so genannten Agoraphobie (“Platzangst”) oder der Sozialen Phobie. Doch während diese ursprünglichen Ängste noch eher situationsbezogen waren - also auf ganz bestimmte Situationen ausgerichtet wie z.B. den Aufenthalt in Menschen­mengen - kann sich die “Angst vor der Angst” zunehmend verselbstständigen und die Betroffenen dauerhaft belasten.

Die Ursachen der “Angst vor der Angst”

Wenn man die “Angst vor der Angst” genauer betrachtet, kann man mehrere Faktoren finden, welche die Betroffenen immer weiter in die Angstspirale gebracht haben:

Angst vor erneuten körperlichen Symptomen

Sehr viele Menschen leiden während Angst- oder Panikattacken unter ausgeprägten körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Atemnot, Schwindel usw. Diese körperlichen Angstsymptome selbst können sich so (lebens-)bedrohlich anfühlen, dass die Betroffenen unter einer großen Angst davor leiden, diese schlimmen körperlichen Erfahrungen nochmals erleben zu müssen.

Dabei gibt es auch hier wieder zwei Varianten: Zum einen Menschen, die sich in den Angstattacken so lebensbedrohlich körperlich krank gefühlt haben, dass sie eine massive Angst vor dem erneuten Auftreten dieser körperlichen Beschwerden haben. Und zum anderen Betroffene, die sich in ihren bisherigen Angstattacken “nur mittelschwer” körperlich krank gefühlt haben, aber die deswegen in der großen Sorge sind,“Die Beschwerden waren jetzt schon fast nicht zum aushalten - Was, wenn es das nächste mal noch schlimmer wird...?”.

Angst vor Hilflosigkeit

Im Rahmen der Angsterkrankungen haben sehr viele Menschen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es Situationen gibt, in denen sie sich ausgeliefert und hilflos gefühlt haben. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts wirkt sich dabei deutlich verstärkend auf die Ängste aus.

Hinzu kommt, dass bei einigen Angstpatienten bereits vor ihrer Angsterkrankung eine große Sorge vor Hilflosigkeit und einem befürchteten Kontrollverlust vorbestand, und sie unter anderem deswegen immer weiter in die Angsterkrankung hinein geraten sind. Die Angstattacke wird dann also zu einer scheinbaren Bestätigung dieser zugrunde liegenden Befürchtungen ("Ich habe es doch schon immer geahnt... ich kann mich nicht auf mich selbst verlassen... ich komme in Situationen, in denen ich ausgeliefert und hilflos bin... usw.").

Bei sehr vielen Menschen besteht also im Hintergrund der “Angst vor der Angst” eine große Sorge, erneut in einen Zustand zu geraten, in dem sie sich hilflos und ausgeliefert fühlen.

Erhöhte Sensitivität und Hypervigilanz

Wir haben ja schon in verschiedensten Artikeln auf dieser Internetseite immer wieder darauf hingewiesen, dass bei den Angsterkrankungen sehr viele körperliche und seelische Reaktionen ablaufen, die von unserem Körper eigentlich als “Hilfe” gedacht sind - nur leider zum falschen Zeitpunkt oder in einer nicht wirklich hilfreichen Intensität. Ähnlich ist es auch mit der Hypersensitivität (also dem besonders verfeinerten Wahrnehmungs­vermögen) und der Hypervigilanz (also der erhöhten Aufmerksamkeit auf Bedrohungs­signale), welche sich im laufe der Angsterkrankung bei vielen Betroffenen entwickelt.

Wie schon gesagt - eigentlich wäre das ganze ja sinnvoll: Eine bestimmte Situation war für mich (lebens-)bedrohend, also achten mein Körper und meine Sinne in der nächsten Zeit besonders sensibel auf alle Reize, die auf eine erneute Gefahr hinweisen könnten. Aber leider passiert dann dadurch in der Realität schnell genau das Gegenteil: Statt dass ich dadurch sinnvoll vor möglichen Gefahren gewarnt werde, richtet sich meine Aufmerksamkeit immer mehr auf mögliche Bedrohungen und ich werde immer weiter verunsichert.

Dies kann dazu führen, dass mir in immer lebhafteren Bildern Bedrohungs­szenarien auffallen, an die ich vor der Angsterkrankung niemals gedacht hätte, wodurch sich dann wieder die oben angesprochene Angst vor der Hilflosigkeit und dem Ausgeliefert sein verstärkt.

Aufdrängende Erinnerungen an frühere Angstattacken

Die erfahrenen Leserinnen und Leser haben es vielleicht schon bemerkt: Angst vor der Hilflosigkeit, Hypervigilanz, Körpererinnerungen... das sind doch eigentlich Themen, die man eher von einer Posttraumatischen Belastungsstörung kennt. Und wirklich: Viele Symptome der “Angst vor der Angst” entstehen deswegen, weil die Angstattacken für die Betroffenen wie eine traumatische Lebenserfahrung waren.

Ähnlich ist dies auch mit den aufdrängenden Erinnerungen an frühere Angstattacken: Viele Betroffene kennen dies Phänomen, dass sie auch zwischen den eigentlichen Angstattacken immer wieder bildhafte Erinnerungen an frühere Angsterfahrungen haben, sehr oft verbunden mit ausgeprägten emotionalen und körperlichen Erinnerungen.

Auch hierbei handelt es sich wieder um eine “ganz normale” Reaktion unseres Körpers und unseres “Geistes” auf ein sehr bedrohliches Ereignis. Stellen Sie sich jemanden vor, der in einen schlimmen Verkehrsunfall verwickelt war - “ganz natürlich”, würden wir sagen, dass er in den nächsten Wochen noch Bilder an diesen Unfall im Kopf hat...

Diese Erinnerungen würden in der Theorie in den meisten Fällen nach einigen Wochen wieder verblassen, wenn sie nicht - wie leider bei vielen Angsterkrankungen der Fall - durch immer wieder erneut auftretende Angstattacken jedes mal weiter fixiert würden. Dies ist in etwa so, als ob unser Beispielmensch mit dem Verkehrsunfall alle zwei Wochen wieder einen Unfall erleidet - kein Wunder, dass die Erinnerungen bei ihm immer lebhafter und bedrohlicher werden.

Und irgendwann kommt dann der Punkt, an dem ich nicht mehr wirklich unterscheiden kann, ob die Bilder in meinem Kopf dann “nur noch” eine Erinnerungen an die früheren Unfälle waren, oder ob sie mich vor erneuten Unfällen “warnen” sollen.

So ähnlich geht es den meisten Menschen mit “Angst vor der Angst”: Die Grenze zwischen Erinnerung an frühere Angstattacken und der Sorge vor dem Erneuten Auftreten der Ängste wird zunehmend verschwommen.

Angst vor der Angst bei Agoraphobie

Die Agoraphobie, auch “Platzangst” genannt, ist eine Erkrankung, bei der die Betroffenen insbesondere unter großen Ängsten vor dem Betreten von öffentlichen Plätzen, vor langen Reisen oder vor dem Verlassen des eigenen Hauses leiden. Im Hintergrund dieser Ängste steht zumeist eine sehr große Angst davor, in der Öffentlichkeit plötzlich “hilflos” zu werden.

Wenn ein unter Agoraphobie leidender Mensch in einer öffentlichen Situation eine Angstattacke erlebt, dann kann dies die oben genannte “Angst vor der Hilflosigkeit” deutlich verstärken. Der Betroffene entwickelt dann oftmals die große Sorge, dass bei einem Wiederbesuchen der angstauslösenden Situation eine erneute Angstattacke auftreten könnte.

Diese Angst vor dem erneuten Auftreten der Angst ist bei der Agoraphobie häufig viel stärker ausgeprägt, als die oben genannte “Platzangst”, also die “Angst vor dem Platz”.

Weiterlesen:
   • Agoraphobie (“Platzangst”)

Angst vor der Angst bei Sozialer Phobie

Auch bei der Sozialen Phobie erleben viele Betroffene eine ausgeprägte Angst vor der Angst. Sehr viele Menschen mit Sozialen Ängsten berichten, dass sie bereits lange bevor sie sich in eine soziale Situation begeben unter der großen Sorge leiden, dass es in der Situation zu einer Angstattacken kommen könnte.

Aus diesen großen Sorgen vor der Angst entsteht dann sehr häufig der Druck, die anstehende Situation unbedingt zu vermeiden. Dies führt dann jedoch oftmals in einen Teufelskreis, in dem die Betroffenen sich immer mehr zurückziehen, um allen angstauslösenden Situationen aus dem Weg zu gehen.

Weiterlesen:
   • Soziale Ängste

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